Ausstellung "Wie die Vöglein so lieblich singen"
28. 08. 2022 von – Uhr
Wie die Vöglein so lieblich singen mit Werken von
Natascha Frioud, Ute Fründt, Irina Gheorghe, David Krippendorff,
Sabine & Peter Rossa, Ursula Wilcke
Wie die Vöglein so lieblich singen versammelt eine Gruppe von Werken, die zwischen den 1960er Jahren und der Gegenwart entstanden sind. Die Ausstellung verweigert einen einzelnen Erzählstrang und präsentiert eine Gruppe von Verbindungen zwischen Themen wie Kindheit, Freizeit, Nostalgie und Unterdrückung. Der Titel der Ausstellung ist der Nacherzählung des Rotkäppchens der Gebrüder Grimm entnommen und stellt den Versuch des Wolfes dar, die gleichnamige Heldin von ihrer Aufgabe abzulenken. Der Wolf schlägt ihr vor, ein paar Blumen zu pflücken und innezuhalten, um das Vogelgezwitscher zu genießen. Hier wird die Phrase natürlich ironisch eingesetzt.
Ursula Wilcke würde sich selbst nicht als professionelle Künstlerin bezeichnen. Eigentlich ist sie eine Rentnerin, die in Magdeburg lebt. Sie wurde jedoch in Wiepersdorf geboren und lebte als Kind auf dem Bauernhof, der heute als Galerie Jägerschere fungiert. Bei Aufräumarbeiten in einem der Galerieräume wurde eine Gruppe von ausrangierten Kinderskizzen aus der Mitte der 1960er Jahre entdeckt, die einen wichtigen Beitrag zur Ausstellung bilden. In ihrem naiven Stil spiegeln sie die gelebte Erfahrung der Kindheit in der DDR wider. Porträts von Lehrern, Ostseeurlauben und Arbeitern in einer Fabrik mischen sich mit jahreszeitlichen Grüßen und Studien von Blumen. Einige sind Schularbeiten, andere sind private Reflexionen, und sie sprechen zu uns über die Jahrzehnte hinweg.
Einen ähnlichen Ton schlägt Natasha Frioud in ihrem Werk 'Traurige Hotels' an. Diese Serie von Dias, die in Kisten auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden gefunden wurden, zeigt eine Reihe von halbverlassenen Hotels am Mittelmeer. Sie zeigen leere Strände und modernistische Architektur und sind chromatische Performances der Nicht-Erinnerung und Nostalgie. Die Bilder stammen von einer Reihe von Kameras gewöhnlicher, unbekannter Menschen, von denen die meisten jetzt wahrscheinlich tot sind. Sie stellen ein Netzwerk persönlicher Geschichten dar, die sich miteinander verbinden und so zu einem Plural und Kollektiv werden.
Irina Gheorghe bringt uns mit ihrer 2019 entstandenen Arbeit "MA-TE-MA" eine andere Kindheitserinnerung nahe, die in diesem Fall völlig konstruiert ist. Eine Fotoserie zeigt eine junge Frau, die anhand eines Kinderspiels erforscht, wie abstrakte Vorgänge im Raum des Geistes zu physischen Objekten werden. Das Spiel selbst und der Farbraum der Fotografien scheinen den Seiten einer Zeitschrift aus den 1970er Jahren entsprungen zu sein. Aber in der Anordnung dieser einfachen Geometrien spüren wir eine Handlung, die im Grunde genommen propositional ist, ein Amalgam aus konkreter Form und Spekulation.
Form und Spekulation sind auch in "Kali", einer Zweikanal-Videoinstallation von David Krippendorff, von Bedeutung. Inspiriert von Nina Simones Interpretation von Pirate Jenny aus B. Brecht/K. Weills "Dreigroschenoper" hat Krippendorff den Text des Liedes in einen dramatischen Monolog umgeschrieben. Dieser wird von der Schauspielerin Hiam Abbass auf Arabisch vor der Kamera vorgetragen. Die uns vorgestellte Jenny, die für einen Hungerlohn in einem Scheißhotel arbeitet, ist voll von der gerechten Wut ihres Brechtschen Vorgängers. Doch indem sie Ideen von Überwachung und staatlicher Macht ins Spiel bringt, wird diese Fantasie von Rache und Selbstverwirklichung in einen völlig zeitgenössischen Kontext transportiert.
Ute Fründt präsentiert eine frühe Arbeit aus dem Jahr 2006 aus ihrer Serie "Rooms". Fründts Gemälde sind oft verspielt und von imaginären, magischen Qualitäten durchdrungen. Doch hier ist der Ton gedämpfter und die Erinnerung scheint die Hauptrolle zu spielen. Ein verschlafenes, ungemachtes Bett, ohne menschliche Figuren, steht in einem Raum. Vielleicht ein Hotel oder eine italienische Pension aus den 1960ern oder den 1980ern....? In all seiner Spezifizität (die Durchsichtigkeit des Stoffes, das Lichtspiel durch das Fenster) verleugnet das Werk das Besondere, und wir könnten einen Moment aus fast jedem Zeitpunkt der letzten sechzig Jahre beobachten.
Die Arbeiten von Sabine und Peter Rossa vervollständigen die Ausstellung. Die beiden Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee aus den späten 1960er Jahren stehen mit ihrer Bildsprache ganz in der Tradition der Art Brut. Ihre figurativen Holzskulpturen sind jedoch auch stark von ihrer eigenen Geschichte als Künstler in der DDR und später im vereinten Deutschland geprägt. Das gemalte Gesicht der in "Abgeschminkt" dargestellten Frau könnte an Piraten-Jenny vorbeigegangen sein, in einem von Friouds Hotels gesourced oder in Fründts Bett geschlafen haben. Sie könnte einen von Wilckes Gymnasiallehrern gekannt haben. Die Verflechtung und Vermischung dieser Geschichten, ihre Ansprüche aneinander, das sind vielleicht die süßen Töne einer Art Vogelgesang, der uns unweigerlich abzulenken scheint.
Veranstaltungsort
Jägerschere - Galerie für zeitgenössische Kunst
Veranstalter
Jägerschere, Dorfstraße 17, 14913 Wiepersdorf